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Immer schneller werden die neuen Technologien Wirtschaft und Gesellschaft verändern und damit auch die Führungskräfte vor neue Herausforderungen stellen. „Im Kern geht es um die Akzeptanz, nicht mehr alle Themen selbst überschauen zu können. Die Komplexität hat so zugenommen, dass ein patriarchisches Führungsmodell nicht mehr funktioniert“, sagte Christoph Bornschein vor Signium-Partnern aus 15 Ländern und Klienten der internationalen Personalberatung. Eingeladen hatten die Signium-Partnerinnen Angela Westdorf, Carolin Fourie, Margareta Glass und Karin Peschl Anfang Mai 2017 in das Berliner Bikini Haus. Thema des Tages: „Digital is taking over“.
Eine neue Aufgabe von Führungskräften werde es sein, agile, gut vernetzte Organisationen zu schaffen, so Bornschein. Er ist Mit-Gründer und Geschäftsführer von Torben Lucie und die gelbe Gefahr (TLGG), 2008 die erste deutsche Social Media-Agentur und heute Spezialist für digitales Business. Den digitalen Rat des Unternehmers suchen Konzerne ebenso wie Politiker. Der 34-Jährige berät unter anderem Vorstände und Management von Lufthansa, EON und Deutsche Bank. Die vielfach ausgezeichnete Agentur wurde 2015 Teil der Kommunikations- und Marketingdienstleistungsgruppe Omnicom, in der Bornschein aber trotz Verkaufs wie ein Unternehmer agieren kann. Über Interesse an seiner Person muss sich der Digitalprofi nicht sorgen. Allein sein Profil bei Xing wurde mehr als 43.000 Mal aufgerufen. Angst vor der Schnelligkeit des digitalen Wandels hat er nicht. Unter Interessen nennt der Unternehmer „unrealisierbare Projekte“.
Bornschein: Grundsätzlich geht es um exponentielles Wachstum, um die Leistungssteigerung von Prozessoren, die Entwicklung von Sensoren und die Erhöhung der Verbindungsgeschwindigkeiten. Und das alles bei massivem Preisverfall. In der Perspektive befinden wir uns bereits auf der zweiten Hälfte der exponentiellen Wachstumskurve. Die Entwicklung hat langsam begonnen, aber jetzt wird sie immer schneller. Man kann dies gut am Beispiel des indischen Schachspiel-Erfinders Zeta verdeutlichen. Als Belohnung für die Erfindung erbat er sich vom Kaiser ein Reiskorn für das erste Feld, zwei für das zweite und dann immer wieder eine Verdoppelung bis zum 64. Feld. Was harmlos beginnt, steigert sich sehr schnell.
Bornschein: Im Kern geht es um die Adaptionsrate. Wie schnell können technologische Dienste ein echtes Problem lösen und damit Millionen von Usern erreichen? Wie schnell gelingt es, den Zahn der Zeit zu treffen? Das Festnetz hat 89 Jahre benötigt, um 150 Millionen Nutzer zu gewinnen. Facebook hingegen hat eine Milliarde Kunden binnen acht Jahren angezogen und Android hat für dieselbe Anzahl nur noch gerade mal fünf Jahre benötigt. Genauso rasant verändert sich die Art der Nutzung. Zwei Drittel der User, die das erste Mal ins Internet gehen, nutzen dafür gar keinen stationären Rechner mehr, sondern mobile Geräte. Mobile first!
In Brasilien oder Indien spielen mobile devices längst die viel größere Rolle. Eine andere Internetnutzung zieht auch andere Dienste nach sich. Beispiel: Snapchat. Der Foto- und Videodienst hatte noch nie eine Website, funktioniert ausschließlich über eine App. Im stationären PC-Zeitalter existiert dieser Dienst gar nicht. In der nächsten Stufe werden wir Voice Interfaces sehen. Vor zwei Jahren war die Sprachsteuerung noch ein komplett ungelöstes Problem. Jetzt ist die Technologie ausgereift. In den USA zeigen die Verkaufszahlen von Amazon Alexa, dass Sprachsteuerung in der Breite der Bevölkerung angekommen ist.
Bornschein: Die Struktur der jungen Unternehmen hat sich komplett verändert. So besitzt Uber, der weltgrößte Taxidienst, keine eigenen Autos. Facebook, das populärste Social-Media-Netzwerk, kreiert keinen eigenen Content. Die chinesische Handels- und Kommunikationsplattform Alibaba, der wertvollste Händler, betreibt kein Lager und Airbnb, der weltgrößte Anbieter von Unterkünften, besitzt selbst keine Immobilien. In Deutschland entscheidet sich gerade, ob der Online-Handel mit Lebensmitteln und Getränken von traditionellen Ketten wie Rewe oder Edeka beherrscht werden wird oder das Anfang Mai in Berlin und Potsdam gestartete Amazon-Produkt „Fresh“ hier nicht das Rennen macht.
Progressive Softwareunternehmen ziehen heute mehr Kapital von Investoren an als traditionelle Unternehmen. Die Fortune 500-Firmen haben 20 Jahre benötigt, um eine Marktkapitalisierung von eine Milliarde Dollar zu erreichen. Oculus Rift, dem Anbieter von Virtual Reality-Brillen, ist der Sprung in gerade mal 14 Monaten gelungen. Und wir sehen hier keine Blase. Airbnb hat jüngst den Sprung in die Gewinnzone angekündigt und wächst jetzt profitabel weiter. Es wird längst nicht mehr überall Geld verbrannt. Und: The winner takes it all! Gut verdeutlichen lässt sich das an den Immobilienplattformen. Von dem einstigen Vermittlungsumsatz, den die Annoncen in den Printmedien einspielten, sind noch etwa zehn Prozent übriggeblieben. Das Geschäft läuft heute mehr oder weniger ausschließlich über Online-Plattformen und 85 Prozent des Marktanteils entfallen auf Immoscout.
Bornschein: Zunächst sollte Software-Kompetenz aufgebaut werden, um das eigene Geschäftsmodell mit den Fähigkeiten aus der Softwarewelt anzureichern. In einem zweiten Schritt geht es darum, sehr schnell auf Marktänderungen reagieren zu können. Es ist gar nicht so entscheidend, das Richtige zu tun, sondern im Vordergrund muss die Flexibilität stehen. Und schließlich müssen die Firmen Talent-Pools aufbauen und die Mitarbeiter befähigen, darin mit zu schwimmen. Auch Kooperationspartner spielen eine wichtige Rolle. Ein gutes Beispiel ist Merck. Das Pharmaunternehmen ist eine Kooperation mit dem besten Datenunternehmen in den USA eingegangen, um die hochentwickelten Datenanalysefähigkeiten von Palantir nutzen zu können.
Bornschein: Im Kern geht es um die Akzeptanz, nicht mehr alle Themen selbst überschauen zu können. Die Komplexität hat so zugenommen, dass ein patriarchisches Führungsmodell nicht mehr funktioniert. Stattdessen muss man kooperativ und teambasiert führen. Es wird weniger mittleres Management geben, das Informationen durchleitet. Gefordert ist vielmehr ein direkter Kontakt zu den jeweiligen Spezialisten. Das oberste Management muss sich weg bewegen vom Schornsteinansatz und Kontrolle sowie Entscheidungsmacht in die Fläche des Unternehmens bringen. Eine neue Aufgabe von Führungskräften wird es sein, agile, gut vernetzte Organisationen zu schaffen.
Bornschein: Die Herausforderungen können nur Organisationen meistern, die eine hohe Flexibilität aufweisen. Teams müssen sich selbst formieren und organisieren können und zwar basierend auf den aktuellen Erfordernissen. Funktionieren kann das nur, wenn der Arbeitgeber flexible Arbeitsbedingungen ermöglicht. Zudem muss sich das Management als Dienstleister verstehen.
Bornschein: Sie müssen sich mit dem digitalen Wandel beschäftigen, in einen permanenten Lernmodus schalten und unerbittlich dranbleiben. Es gilt, die Risiken und Chancen der Digitalisierung für das Geschäftsmodell abzuwägen. Und dann muss man handeln!
Bornschein: Stellen Sie keinen CDO ein! Die Digitalisierung der Geschäftsmodelle muss Teil der Corporate Strategy sein. Es gibt keine digitale Strategie. Es gibt nur eine Corporate Strategy im digitalen Zeitalter. Ein CDO könnte die Entwicklung anstoßen, ist aber mittelfristig zum Scheitern verurteilt. Die Strategie muss von oben nach unten in der Gesamtorganisation gedacht werden, da die Digitalisierung jeden Bereich und jeden Mitarbeiter betrifft.